Die Vergangenheit holt den Fahrradhersteller Mifa ein
28 Millionen Euro Bilanzverlust / Aktienkurs halbiert sich / Vorstand Barth: Unternehmen hat „guten Kern“
FAZ Print 16.5.2014
mho./tih. FRANKFURT, 15. Mai. Der
größte deutsche Fahrradhersteller Mifa
steckt tiefer in Schwierigkeiten als bislang
angenommen - mit der Konsequenz,
dass dem Unternehmen die Anleger
in Scharen davonlaufen. Am Donnerstag
musste die börsennotierte AG
einräumen, dass die Bilanzen offenbar
schon seit mehreren Jahren fehlerhaft
waren. Nach aktuellen Erkenntnissen
sind Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie
fertige Erzeugnisse um insgesamt
etwa 19 Millionen Euro falsch bewertet
worden. Das betrifft nicht nur den Jahresabschluss
2012, sondern auch die Vorjahre.
Gemeinsam mit dem schon im März
veröffentlichten Jahresfehlbetrag des Geschäftsjahres
2013 in Höhe von 15 Millionen
Euro werde dies voraussichtlich zu
einem Bilanzverlust von etwa 28 Millionen
Euro zum 31. Dezember 2013 führen,
hieß es. Zum 30. September 2013
hatte die Mifa noch einen Bilanzgewinn
von 7,66 Millionen Euro ausgewiesen.
Das Bilanzergebnis ist der über Jahre kumulierte
Gewinn oder Verlust eines Unternehmens.
Auch das laufende Geschäft gestaltet
sich alles andere als erfreulich. „Vor
dem Hintergrund aktueller Erkenntnisse“
rechnet der Vorstand nicht mehr,
wie im März noch angekündigt worden
war, mit einem ausgeglichenen Ergebnis
für das erste Quartal. Angesichts dieser
Nachrichten gab der Aktienkurs extrem
stark nach. Am Donnerstag notierte das
Papier zum Handelsschluss mit 1,37
Euro und verlor damit fast die Hälfte seines
Wertes. Treffen dürfte das nicht zuletzt
den früheren Chef des umstrittenen
Finanzdienstleisters AWD, Carsten
Maschmeyer, der mit einem Anteil von
rund 20 Prozent zweitgrößter Aktionär
der Mifa ist. Auch den Anleihegläubigern
des Unternehmens dürfte alles andere
als zum Jubeln zumute sein. Der
Kurs einer 2013 begebenen und mit 7,5
Prozent verzinsten fünfjährigen Mittelstandsanleihe
geriet stark unter Druck;
er fiel von 66 auf nur noch 35,75 Prozent
des Nominalwerts.
Mifa setzt nun voll auf den indischen
Fahrradhersteller Hero Cycles, mit dem
das Unternehmen im März eine strategische
Partnerschaft angekündigt hatte.
Schon vor einigen Tagen machten Gerüchte
die Runde, Hero Cycles sei an einer
vollständigen Übernahme interessiert.
Mifa erläuterte nun, das indische
Unternehmen, das als größter Fahrradhersteller
der Welt gilt, wolle auf dem
Weg einer Barkapitalerhöhung 15 Millionen
Euro in die Mifa investieren. Allerdings
nur unter Bedingungen: Hero erwarte
„erhebliche Finanzierungsbeiträge“
der Banken und Anleihegläubiger,
hieß es. Statt der ursprünglich angedachten
Sperrminorität könnte es jetzt sein,
dass Hero für sein Geld eine Mehrheitsbeteiligung
bekommt. Der Vorstand bereitet
sich nun den Angaben zufolge auf
„intensive Abstimmungen“ mit den wichtigsten
Banken vor. Bei ihnen steht die
Mifa mit insgesamt 25 Millionen Euro in
der Kreide. Die größten Kreditgeber sind
die Deutsche Bank, die Commerzbank
und die Sachsen-Bank.
Die' Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Ernst & Young erstellt derzeit ein Sanierungsgutachten,
auf dessen Basis weitere
Maßnahmen zur künftigen Ausrichtung
des Geschäfts getroffen werden sollen.
Das Gutachten wird voraussichtlich im
Juni vorliegen. Analysten äußerten sich
schon jetzt sehr skeptisch. „Nach der heutigen
Meldung steht fest, dass Mifa -
wenn überhaupt - nur durch massive externe
Hilfe überlebensfähig ist“, schrieb
das Analysehaus Montega und fügte hinzu:
„Aufgrund der angespannten finanziellen
Situation befindet sich Hero in einer
starken Verhandlungsposition, während
das Vermögen der Aktionäre durch
die aufgelaufenen Verluste und die offensichtlich
defizitäre operative Entwicklung
dahinschwindet.“
Schon am 20. März hatte Mifa überraschend
über bevorstehende Bilanzkorrekturen
berichtet, aber nur Fehler bei der
Verbuchung des Materialaufwands in
den Abschlüssen des zweiten und dritten
Quartals eingeräumt. Seinerzeit wurde
dies im Wesentlichen auf ein neu eingeführtes
Buchungssystem zurückgeführt.
Davon war am Donnerstag nicht mehr
die Rede. Mifa hatte damals auch den am
Donnerstag bestätigten Jahresverlust
von 15 Millionen Euro angekündigt. Beobachter
hatten aber schon zu diesem
Zeitpunkt bezweifelt, dass dieser Verlust
lediglich auf die eingeräumten Fehlbuchungen
zurückzuführen sein könnte,
und die Probleme vielmehr in der Verbuchung
der Bestände vermutet. Der langjährige
Alleinvorstand Peter Wicht, in
dessen Ägide die zweifelhaften Abschlüsse
fallen, hatte sein Amt im April aus gesundheitlichen
Gründen niedergelegt. Inzwischen
führen der Wirtschaftsprüfer
Hans-Peter Barth und der Sanierungsexperte
Stefan Weniger das Unternehmen.
Barth äußerte sich im Gespräch mit
dieser Zeitung zur Zukunft des Fahrradherstellers
gedämpft zuversichtlich. „Die
Firma muss saniert werden, sie hat aber
einen guten Kern.“ Die derzeitige Lage
sieht er in Strategiefehlern der Vergangenheit
begründet: „Das Unternehmen
war stark auf Volumen getrimmt. Der Fokus
lag stark auf Umsatz.“ Ein Blick auf
die Entwicklung der Geschäftszahlen bestätigt
diese Einschätzung. Während der
Umsatz in den vergangenen Jahren zum
Teil kräftige Sprünge aufwies, verdiente
die Mifa seit 2004 in keinem Jahr mehr
als 2 Millionen Euro - und das bei Erlösen
im dreistelligen Millionenbereich.
Zur künftigen Strategie ließ ßarth anklingen,
dass die Mifa künftig nicht mehr
im untersten Segment tätig sein soll. Zunächst
sieht er das Unternehmen weiterhin
als Massenhersteller, zumal es zuletzt
stets deutlich mehr als eine halbe Million
Fahrräder jährlich produziert hat. „Aktuell
läuft das Geschäft der Mifa wie geplant.“
Ob es bei dieser Mengenstrategie
bleibt, scheint derzeit unklar. Die Kunden,
darunter Handelsriesen wie Metro
oder Aldi, halten dem Unternehmen
Barth zufolge die Stange: „Die stehen zu
uns. Die sind froh, dass es uns gibt.“
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